Vortrag von Klaus Zacharias gehalten bei der Jahreshauptversammlung des Vereins am 31. März 2000 im Restaurant „Zu den Fischteichen“
- Erweiterte schriftliche Fassung des Vortrages –
1. Einleitung
Zu Beginn des Jahres 2000 lud mich der Vorsitzende des „Paderborner Bürgervereins“, Herr Rechtsanwalt und Notar Josef Sprute, zu dem o. g. Ereignis ein und bat mich um einen Vortrag zu der genannten Thematik. Ich sagte spontan zu, ohne jedoch zu wissen, ob und welches Material es zur Geschichte des Bürgervereins gibt. So begab ich mich auf die Materialsuche, denn ich wußte bisher nur, daß sich einige Mitglieder des Vereins regelmäßig donnerstags in der Weinstube Goertz am Markt treffen und dort Gedanken austauschen.
Bald fand ich an verschiedenen Stellen Material, so Abrechnungsunterlagen, alte Protokollbücher, Mitgliederverzeichnisse, Bauzeichnungen etc. Den Hauptteil dieser Unterlagen findet man im Paderborner Stadtarchiv in einem Archivkasten: Insgesamt besteht dieser Bestand aus acht Einzelteilen, von denen ein Band bereits seit 1943 dort aufgehoben wird, während die anderen Bände infolge eines „Hinterlegungsvertrages“ vom 12. November 1989 dorthin gelagert sind. Unter der Signatur „V17“ wird dieser Bestand aufbewahrt. Ein weiterer größerer Aktenbestand wird in der Sparkasse Paderborn – ohne Signatur – geführt. Diese Archivalien beschäftigen sich vor allem mit dem Finanzgebaren und den einzelnen Wiederaufbauunternehmungen nach der völligen Zerstörung des Vereinshauses, das bis 1945 an der Kasseler Straße stand und nun zum Liboriberg verlegt werden sollte (s. u.). Dort befinden sich auch eine Mitgliederkartei, die die Namen ausgeschiedener oder verstorbener Mitglieder des Vereins enthält (Holzkasten), sowie ein Mitglieder- und Beitragsverzeichnis (seit 1945) in gebundener Form.
Aus Anlaß des 125jährigen Vereinsjubiläums hielt Studiendirektor Dr. Friedrich Gerhard Hohmann einen Vortrag am 21. Oktober 1989 im Rathaussaal, der unter dem Titel „Die Anfänge des Paderborner Bürgervereins“ in der „Westfälischen Zeitschrift“ Band 140 (1990), S. 315-333 veröffentlicht worden ist. Eine Kopie der Originalfassung dieses Vortrages befindet sich auch im Stadtarchiv. Dann übergab mir Herr Landesarbeitsgerichtsdirektor a. D. Karl Bernemann ein nach 1945 angelegtes Protokollbuch des Vereins, das bis 1995 geführt worden ist (letzte Eintragungen vom März 1995). Schließlich veröffentlichte Georg Vockel in seiner Kolumne „Stadtgespräch“ im „Westfälischen Volksblatt“ vom 23. Februar 2000 einen Beitrag mit dem Titel „Bürgerverein regelt mit Korken“, der über eine ungewöhnliche Art der Redeerteilung während der Donnerstagsrunden bei „Goertz“ berichtet. Ein weiterer Text in der gleichen Zeitung vom 15. März 2000 könnte den Eindruck erwecken, als habe er mit dem Bürgerverein zu tun, denn die Schlagzeile lautet: ,Bürgerverein galt als Stütze für evangelische Mitbürger‘; bei diesem Verein handelt es sich jedoch um einen konfessionellen Verein, der mit dem „Paderborner Bürgerverein“ nichts zu tun hat und Anfang März 2000 seine Tätigkeiten beendete. In diesem Zusammenhang möchte ich anregen, alle vorhandenen Aktenbestände an einer Stelle zu deponieren, zumal sonst die Gefahr besteht, daß der Aktenbestand verloren geht. Nach meiner Meinung ist das Stadtarchiv Paderborn der geeignete Ort, weil hier eine sachkundige Aufbewahrung gewährleistet ist. Außerdem läßt sich dann gezielter wissenschaftlich arbeiten. Nach diesen Vorbemerkungen soll nun die Geschichte des „Paderborner Bürgervereins“ näher untersucht und dargestellt werden, wobei die folgenden Ausführungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, vielmehr einzelne Epochen und die Menschen, die diese Epochen wesentlich geprägt haben, näher beleuchten.
2. Anfänge des Bürgervereins
Eine erste schriftlich erhaltene Quelle zur Geschichte des Vereins findet man in einem für damalige Verhältnisse umfangreichen Text im „Westfälischen Volksblatt“ vom 23. November 1864, der die Eröffnung des Vereins schildert. Hier wird auch erstmals der Zweck der Vereinsgründung mitgeteilt, denn man wollte „die Paderborner Bürger durch das Band der Geselligkeit einigen“, zugleich aber auch öffentliche Wohltätigkeitszwecke fördern. Der Verein hatte sich bereits am 1. September 1864 konstituiert, wobei 128 Gründer zugegen waren, jedoch konnte der Verein mangels eines geeigneten Lokals erst am 20. November dieses Jahres an die Öffentlichkeit treten. Nach dem Bericht bildeten Kanzleirat Tilly, Rechtsanwalt Fischer (Großvater des späteren Stadtdirektors) sowie Rendant Lehrer Rengier den Vorstand („Direktorium“); die Mitglieder zahlten „zwei Thaler Jahresbeitrag.“ Damals existierten schon einige Vereine in Paderborn, so die Loge „Zum hellflammenden Schwerdt“ (1803), der Musikverein (1824), der sich selbst „Kreis gebildeter Personen“ nannte und die städtische Oberschicht repräsentierte, der Bürgerschützenverein (1831) und die Liedertafel (1838).
Motor und Seele der Gründung war Kreisrichter Alfred Hüffer, ein Schwager des Zentrumspolitikers Hermann von Mallinckrodt; Hüffer war seit 1849 Mitglied im „Katholischen Verein“ und 1853/1855 Mitglied der katholischen Fraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses, der seit 1860 Kreisrichter in Paderborn war. 1862 hatte in Aachen die Generalversammlung der katholischen Vereine unter Teilnahme einiger Honoratioren (Geistliche) getagt, die überall die Gründung von katholischen Bürgervereinigungen anregte; „katholisch gesinnte Männer aller Stände“ sollten dort zusammenkommen (bei einem Glas Bier oder Wein, denn „ohne das geht es nicht“, hatte der Mainzer Domkapitular Dr. Heinrich angemerkt. Auch die Errichtung von „katholischen Kaffeehäusern“ hatte man dort erörtert. Seit 1863 entstanden am Rhein verschiedene katholische Bürgervereine, die oft die Bezeichnung „Casino“ („Geselligkeitshäuser“) trugen.
Als am 1. Oktober 1864 das Haus des Paderborner Bierbrauers Xaver Backhaus am Kleinen Domplatz frei wurde, fand der gerade gegründete „ Paderborner Bürgerverein“ sein erstes Domizil. Von Anfang an zeigte der Verein deutlich politische Funktionen, die man aber bewußt nicht benannte; die Wurzeln des Vereins lagen also deutlich im katholischen Vereinswesen des 19. Jahrhunderts. Sieht man sich die Namen der Gründer des Vereins an, so erkennt man, daß Männer aller Berufsgruppen vertreten waren; neben Geistlichen findet man Adlige, Juristen, Mediziner, Gymnasiallehrer, Verleger, Kaufleute, Handwerksmeister und Ackerbürger. Von den Gründungsmitgliedern fanden sich immerhin 110 Männer zur Eröffnung des Vereins am 20. November 1864 im ersten Vereinslokal ein; dabei wurde auch das von Alfred Hüffer verfaßte „Paderborner Lied“ gesungen.
Schnell blühte der Verein auf; im Jahre 1865 traten weitere 105 Herren dem Verein bei, wobei die Aufnahme mittels „Ballotage“ erfolgte, wobei man mit schwarzen und weißen Kugeln abstimmte (nach diesem Prinzip wählen heute noch die Kartäuser ihre Oberen). Nach dem Vorbild des Paderborner Vereins kam es vor allem im Rheinland zu weiteren Gründungen, wobei es auch immer wieder darum ging, Stadtverordnetenwahlen im katholisch-konservativen Sinne zu beeinflussen; namentlich in Paderborn wurden immer wieder Mitglieder des Vereins in dieses Grmium gewählt. Jedoch findet sich bereits 1868 eine Klage im „Vereinsboten“, dem „Centralblatt der geselligen Vereine“.“.. noch fehlt den ...Casinos ein einheitliches Prinzip, eine einheitliche Regelung. Es liegt die Gefahr nahe, daß sie in bloße Vergnügungsvereine ... und was noch schlimmer, in Spielgesellschaften ausarten.“ Seit 1870 setzt die schriftliche Vereinsüberlieferung ein, denn das erste erhaltene Schriftstück des Vereins datiert vom 23. März 1870, und bis heute ist diese Überlieferung erhalten. Den Verein leitete damals Kreisrichter Alfred Hüffer, den die Gymnasiallehrer Giefers und Dr. Tenckhoff unterstützten.
Blickt man auf die Anfangsjahre zurück, so sind die späteren Probleme und Aufgaben des Vereins schon damals deutlich vorgezeichnet gewesen, so daß sich verschiedene Schwerpunkte der Vereinsgeschichte wie ein roter Faden durch diese ziehen; immer wieder war man bemüht, auf je zeitangemessene Form das Vereinsziel, wie in der Gründung formuliert, zu realisieren. Neben gelegentlichen Problemen mit einzelnen Vereins- oder Vorstandsmitgliedern gab es immer wieder Probleme um das Vereinshaus und mit den Kastellanen, wobei die Amtszeit des Kastellans Josef Leifeld (1907 – 1941) eine Ausnahme bedeutet; das Vereinshaus belastete den Verein mehr oder weniger, und auch der Weinverzehr im Haus gab immer wieder Probleme auf, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchte man, durch Vermietung des Hauses an Sängervereine oder Theatergruppen, dann auch politische Parteien, Geld einzunehmen; schließlich findet man immer wieder Appelle, die Mitgliederwerbung intensiv zu betreiben.
3. Die Jahre von 1870 bis 1945
Die folgenden Ausführungen wollen keine Einzelheiten zu 75 Jahren Vereinsgeschichte darstellen; vielmehr soll in einer Art Überblick auf einige wichtige Ereignisse hingewiesen werden, die jedoch wichtige Scharnierstellen des Vereinslebens bedeuten.
Schon 1870 beschloß man, an das Vereinshaus am Kleinen Domplatz ein Gartenhaus anzubauen, um die Sommerfeste angemessen feiern zu können, wozu u. a. das „Bohnenfest“ gehörte, wobei man jedoch schon bald auf den Bohnenkuchen verzichtete. Um den Weineinkauf bezahlen zu können, war bereits 1872 die Aufnahme eines Darlehens in Höhe von 3.000 Talern (Sparkasse) erforderlich, wofür einige Vereinsmitglieder bürgten. Seit 1873 bestanden Überlegungen, für den Verein ein eigenes Anwesen zu erwerben, denn nach dem Kauf des Backhaus’schen Grundstücks durch die Vereinsbrauerei war nicht nur die Miete auf 625 Taler erhöht, sondern auch die Verpflichtung, nur Bier dieser Brauerei zu beziehen, erhoben worden. Eine Gruppe angesehener Vereinsmitglieder bildete ein Konsortium, das diese Pläne näher untersuchen sollte. Erste Verhandlungen mit Kreisrichter Dr. Holtgreve in Halle wegen des Erwerbs seines Grundstücks am Kamp (später: Dr. Rörig) verliefen ergebnislos, so daß man zunächst am kleinen Domplatz blieb; immerhin konnte in Verhandlungen der Mietpreis auf 600 Taler reduziert und die Verpflichtung zum Bierbezug verhindert werden.
Schon im Juni 1875 erfolgte der Umzug des Vereins in den Westphalenhof, der damals Wilderich Freiherr von Ketteler, der auch Vereinsmitglied war, gehörte. Auch der damalige Kastellan Malewsky scheint nicht sehr zuverlässig gewesen zu sein, denn in der Kasse fehlten 463 Taler, was zur Entlassung führte; der damalige Vereinsökonom Redakteur Joseph Honcamp mußte auch über verschiedene Weinschulden bei einigen Lieferanten berichten. In diesem Zusammenhang verlangte Honcamp für persönlich geleistete Vorschüsse 305 Taler und 54 Taler Zinsen, was der Vorstand aber bestritt. Auch mit dem neuen Kastellan Rhode gab es offentsichtlich Probleme hinsichtlich des Weinverkaufs, wobei Unregelmäßigkeiten vorgekommen waren. Ärger gab es offensichtlich auch mit der Überlassung der Vereinsräume an andere Gruppen, so z. B. mit der Männerbruderschaft der Gaukirche, die dort ihre Gesangsabende abhielt, die man aufforderte „ein anderes Local ausfindig“ zu machen. 1882 beschloß man den Bau einer Gartenhalle an das Vereinslokal, und 1884 wurde mit dem Freiherrn von Ketteler ein neuer Mietvertrag, datiert bis zum 30.09.1894, bei einer Miete von 3000 Mark abgeschlossen.
Im Jahre 1884 verzichtete man endgültig auf das „Bohnenkönigtum“, das offensichtlich schon einige Jahre nicht mehr gefeiert worden war; statt dessen führte man eine Verlosung ein, um den Schwierigkeiten des „Bohnenkönigtums“ zu entgehen, ohne daß diese näher dargelegt werden. 1890 war eine Überarbeitung der Statuten erforderlich geworden, die Oberlehrer Prof. Theodor Benseler vornahm; die geänderten Statuten wurden in einer außerordentlichen Generalversammlung vom 22. Mai 1890 genehmigt. Um seiner sozialen Verpflichtung nachzukommen, erhöhte der Vorstand im gleichen Jahr die Ausgaben von bisher 200 Mark auf 400 Mark jährlich.
Offensichtlich war man schon länger bemüht, ein eigenes Haus zu erwerben; im April 1890 faßte die außerordentliche Generalversammlung den Beschluß, das Neukirch‘- sche Haus in der Kasseler Straße zu erwerben. Mit 64 zu 44 Stimmen sprach man sich nach kontroverser Diskussion zum Erwerb aus, wobei der Verein einen Kaufpreis von 33.000,00 Mark aufbringen mußte. Zunächst jedoch stand eine Verlängerung des Mietvertrages im Westphalenhof an, denn man verlängerte diesen um 10 Jahre bis zum 30. September 1904, wobei der Mietzins um 300 Mark auf M 3.300,00 erhöht wurde; inzwischen war das Eigentum an den Jesuitenorden übergegangen. Die Unterlagen vermelden, daß 1894 immerhin noch 27 Gründungsmitglieder als „alte Garde“ am Leben waren. In der Hausfrage kam offensichtlich bereits 1895 ein neues Angebot: Bankdirektor Kleine bot dem Verein den „Preußischen Hof“ (Kamp 22) zum Preis von M 90.000,00 an, was der Vorstand aber jedoch als zu hoch ablehnte; bereits 1896 fragte der Magistrat der Stadt beim Verein an, ob dieser bereit sei, der Stadt das Neukirch’sche Grundstück zu veräußern, was aber abgelehnt wurde. Hinsichtlich der rechtlichen Stellung des Vereins brachte das Jahr 1900 einen wichtigen Einschnitt, denn nach dem am 1. Januar in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuch sollte dieser als „eingetragener Verein“ in das Vereinsregister eingetragen werden, was mit einer weiteren, diesmal umfassenden Änderung der Vereinsstatuten verbunden war. Am 20. Mai 1900 nahm die Generalversammlung die geänderten Statuten an. Bald jedoch wurde die Hausfrage wieder aktuell; man sah den Mietvertrag mit den Jesuiten als unvorteilhaft an, so daß sich der Vorstand entschied, die Neubaufrage auf dem Vereinsgrundstück nun schnell voranzutreiben. Als Obergrenze für den Neubau wurde ein Betrag von M 70.000,00 festgesetzt. Eine Besichtigung des Grundstücks durch Fachleute ergab, daß ein kompletter Neubau nicht erforderlich war; ein Umbau des Hauses und ein Anbau (Saal, Kegelbahn) war nach Einschätzung der Fachleute für M 60.000,00 möglich, zumal bisher jährlich etwa knapp M 1.000,00 für Reparaturen und Steuern im Miethaus aufzubringen waren. Außerdem war die Zeit für Baumaßnahmen damals günstig; man kündigte den Mietvertrag zum Vertragsende, beschloß den Zukauf eines anschließenden Grundstücks von Bäckermeister Peters (182 qm) für M 4.004,00 und konnte nun an die Realisierung der Pläne herangehen. So fand am 29. Januar 1903 nachmittags um 14.00 Uhr die feierliche Grundsteinlegung statt, wobei man in die nördliche Kellermauer eine Urkunde niederlegte. Jedoch zeigte sich bald, daß man mit dem geplanten Betrag nicht auskommen würde, so daß man jetzt M 90.000,00 als Bausumme festlegte. Das Stiftungsfest, das zugleich Einweihungsfest für den Saal sein sollte, wurde auf den 25. Oktober festgelegt. Über den Ablauf des Festes selbst wird nichts mitgeteilt. Bald wurde der Saal von Theatergruppen angemietet; so taucht immer wieder der Name des Detmolder Theaterdirektors Berthold auf, dessen Aufführungen jedoch offensichtlich Ärger auslösten. Besonders das Stück „Das Amtsjubiläum“ erregte 1910 den Ärger der Lehrer, die sich schwer beleidigt fühlten; in „Zukunft soll darauf geachtet werden, daß nichts auf die Bühne kommt, was irgend jemand irgendwie kränken könnte“, vermerkt das Protokollbuch.
Während des 1. Weltkrieges ruhte das Vereinsleben weitgehend; zwar zahlte man dem Kastellan Joseph Leifeld das Gehalt weiter, aber das 50. Stiftungsfest mußte auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Auch der Weinverkauf außer Hauses wurde gänzlich gesperrt, auch wenn gelegentlich neuer Wein angekauft wurde. Immerhin konnte sich der Verein 1918 noch über ein Vermächtnis des verstorbenen Vorstandsmitgliedes Reinhard Lippe freuen, ohne daß die Höhe mitgeteilt wird. Für das Jahresende wird mitgeteilt, daß im Dezember 1918 1.150 Flaschen Wein getrunken wurden und 350 Flaschen außer Hauses verkauft worden waren; für die unmittelbare Nachkriegszeit sicher eine bemerkenswerte Menge. Ein Mitglied des damaligen Soldatenrates hatte sich im Haus offenbar so schlecht aufgeführt, daß dieses auf eine Beschwerde des Vorstandes hin aus dem Gremium ausgeschlossen und der Vorfall der Staatsanwaltschaft übergeben wurde.
Überhaupt spiegeln die Berichte den Übergang zur Republik deutlich; in der Tradition seiner sozialen Verpflichtung zahlte der Verein den heimkehrenden Zivil- und Kriegsgefangenen je 100 Mark. Aber auch andere, heute kaum nachvollziehbare Meldungen seien erwähnt: Ein Varieté durfte im Saal nicht auftreten, und wegen „starker Verteuerung sollen Streichhölzer nicht mehr aufgestellt werden.“ Anläßlich einer Veranstaltung der DNVP entstand ein Schaden von 200 Mark, wobei die Partei 100 Markt zu zahlen bereit war, was der Vorstand mit der Maßgabe annahm, bei späteren Parteiveranstaltungen einen höheren Mietzins zu fordern. 1921 war die Bierfrage wieder aktuell geworden, denn „nach einer Probe“ entschied man sich weiterhin für das „helle Dortmunder Bier“, während man sich beim dunklen Bier auf das Paderborner Bier festlegte. Im gleichen Jahr wurde Bäckermeister Clemens Zarnitz anstelle von Schuldirektor Heinrich Reismann in den Vorstand gewählt, und nicht zuletzt erlangte der Verein für Teilgebiete die steuerliche Abzugsfähigkeit. Auch die Inflation spürte der Verein; so kostete der Anstrich der Vorderfront des Hauses im Juni 1923 25 Millionen Mark, und Ende August 1923 war der Hektoliter Bier nur noch für 30 Millionen Markt zu bekommen, und ein kleines Glas Bier kostete 180.000 Mark, das große 240.000 Mark. Auch der Beitrag entsprach mit monatlich 200.000 Mark diesen Größenordnungen. Im letzten Quartal 1923 wurde der Beitrag auf 40 Millionen Mark pro Mitglied festgesetzt.
Bessere Zeiten kamen seit 1924; jetzt konnte sich der Verein eine längst überfällige Reparatur der Kegelbahn leisten. Für 2.000 Mark renovierte eine Firma die Kegelbahn und Ende des Jahres konnte man das 60-jährige Vereinsjubiläum mit einem großen Festessen begehen. Aber auch für den Saal, die Bühne und die Küchen waren Erneuerungsarbeiten erforderlich, die mit 10.000 Mark zu Buche schlugen, so daß weitere Maßnahmen aufgeschoben werden mußten. So konnte erst im nächsten Jahr eine Heizungsanlage im Erdgeschoß eingebaut werden, was die Firma Gebr. Becker für 2.125 Mark durchführte. – Aber auch skurrile Feststellungen wurden mitgeteilt: Hunde wurden in den Gesellschaftsräumen und im Garten nicht geduldet, und zuziehende Beamte, die Mitglied werden wollten, hatten die Hälfte des Eintrittsgeldes sofort, den Rest spätestens nach 5 Jahren zu zahlen.
In der Ballsaison 1927 wurde der „neue Tanz Charleston“ ausdrücklich als unanständig untersagt und beim Kostümball dieses Jahres war das Tragen von Masken nur bis 10 Uhr erlaubt. Schließlich wurde auf Betreiben der Geistlichkeit ein Auftritt der ,Münsterischen Tanzgesellschaft‘ im Saal abgelehnt, weil die Kleidung einzelner Tänzerinnen „nicht einwandfrei“ war. Das Empfinden der katholischen Bevölkerung sei dadurch „peinlich berührt.“
Im Jahr 1927 wurde die seit langer Zeit gewünschte Kühlanlage endlich installiert, weil „die Weine im Sommer empfindlich leiden.“ Für 16.000 RM konnte eine Bielefelder Firma diese Anlage errichten. Auch 1928 wurde wieder viel Geld in das Haus investiert, denn der Vereinssaal mußte umgebaut werden. Für einen 1. Bauabschnitt wurden 40.000 RM bewilligt, jedoch war die Zustimmung bei 65 zu 61 Stimmen durch die Mitglieder äußerst knapp.
Erstmalig 1930 trat die NSDAP mit dem Wunsch, den Saal für eine Veranstaltung anzumieten, an den Vorstand heran, was „größte Bedenken“ auslöste; mit der Auflage, daß „Münchmeier nicht spricht“, vermietete man den Saal. Offensichtlich gab es dennoch Ärger, denn der Vorstand teilte der Partei unter dem 26. Juni 1930 mit: „Im Auftrag des Vorstandes des BV teilen wir Ihnen ergebenst mit, daß Ihnen für die Zukunft der Saal nicht mehr vermietet wird.“ Überhaupt durfte von da an der Saal nur noch mit ausdrücklicher Zustimmung des Vorstandes an politische Parteien vermietet werden. Jedoch wurde der Saal bereits Anfang Oktober 1930 der NSDAP wieder überlassen, jedoch sollten „Ungelegenheiten wie das letzte Mal“ vermieden werden. Offensichtlich hatte man damals Handzettel mit Beleidigungen gegen das Zentrum und die SPD verteilt. Aber auch erfreuliche Nachrichten gibt es: Wie alljährlich wurden die Krankenhäuser zum Jahresende mit je 20 Flaschen Wein bedacht. Schon 1931 gab es neuen Ärger mit den politischen Parteien, denn nach einem Vorstandsbeschluß durfte der Saal nicht mehr an die NSDAP und die SPD, später auch an die KPD, vergeben werden. Statt dessen erwog man eine anderweitige Nutzung des Saals als Kinovorführraum. Jedoch schlug erster derartiger Versuch fehl, da die Pächter bald die Miete nicht mehr zahlen konnten. Kaufmann Johannes Renneke übernahm dann den Saal zur Filmvorführung, gab aber seinerseits bereits Anfang Januar 1933 dieses Unternehmen auf.
Die neue einsetzende NS-Zeit war wesentlich von Auseinandersetzungen mit der Partei geprägt. So lehnte der Vorstand 1934 die Aufforderung der Partei, der Organisation „Kraft durch Freude“ beizutreten, ab; statt dessen feierte man im hergebrachten Rahmen das 70-jährige Stiftungsfest, bei dem Vereinsjubilare besonders geehrt wurden. Auch verzichtete man offensichtlich auf das „Führer-Prinzip“, denn der Vorsitzende wird nun als „Leiter des Vereins“ (nach einer Satzungsänderung) bezeichnet, der aber noch von der Hauptversammlung zu wählen war. Jedoch berief dieser die Vorstandsmitglieder, wobei die Generalversammlung nur Vorschläge unterbreiten konnte. „Leiter“ wurde 1935 Rechtsanwalt Dr. Rempe, sein Stellvertreter Clemens Zarnitz. Insgesamt fielen in diesen Jahren die Mitgliederzahlen beständig bis auf unter 300 Mitglieder (1937). Überhaupt fallen die Nachrichten zum Vereinsleben immer dürftiger aus, denn es werden lediglich Wahlergebnisse und Rechnungsprüfungsergebnisse mitgeteilt. Aus Gesundheitsgründen trat Dr. Rempe bereits 1939 zurück; Nachfolger wurde Rechtsanwalt Dr. Josef Uhle. Dr. Rempe ernannte man zum Ehrenmitglied. Unter den Kriegsjahren hatte auch das Vereinsleben wesentlich zu leiden. Das Haus wurde nur noch zu bestimmten Stunden geöffnet, der Weinflaschenbestand sank ständig, neue Mitglieder konnten kaum aufgenommen werden, und Dr. Uhle wurde 1941zum Militär einberufen. Sein Nachfolger wurde Clemens Zarnitz, unterstützt von Professor Ludwig Ferrari. Dabei mußte der Weinverzehr noch weiter rationiert werden, denn jedes Mitglied durfte pro Woche nur noch einen Schoppen trinken.
Zum Schicksalsjahr werden aber sollte das Jahr 1943. Mitte März wurde der Wirtschaftsbetrieb ganz geschlossen und die Partei verlangte durch den Kreisleiter, die Räumlichkeiten des Vereins für Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Die wirtschaftliche Situation des Vereins verfiel infolge der Einnahmenausfälle jäh, so daß man Überlegungen, das Haus zu veräußern, anstellen mußte. Außerdem drohte die Partei .“.. daß der BV auch nach Aufhebung der Kriegsmaßnahme nicht damit rechnen könne, seine Tätigkeit in der alten Form wieder aufnehmen zu können. Ein Eintrag im neuen Protokollbuch nach 1945 zeigt den eigentlichen Hintergrund: „Die Pflege der Paderborner Art, echten Bürgersinns, gepaart mit Freude und Frohsinn, waren den ortsfremden Parteiführern ein Dorn im Auge.“ Schon lagen Kaufangebote zwischen 150.000 und 160.000,00 RM vor. „Strategie der Verantwortlichen des Vereins war jedoch „... das Besitztum dem Verein möglichst zu erhalten.“ Jetzt unterbreitete die Stadt ein Kaufangebot über 156.000,00 RM. Zugleich wurden kostspielige Luftschutzmaßnahmen verlangt und eine Zustimmung zu einer eventuellen Verpachtung an andere als die Stadt verweigert. Außerdem mußte der größte Teil des Weinbestandes an die NSV abgegeben werden. Schließlich übte man damit Druck –auf den Verein aus, daß der Verein im Falle eines Verkaufs an die Stadt nicht aufgelöst werde. Bei diesen Pressionen suchte der Vorstand bei der Stadt nach einem Tauschobjekt. Jedoch wurde ein solches erst nach Kriegsende in Aussicht gestellt. Im April/Mai 1943 nahm der Druck weiter zu, und immer wieder wurde mit der Zwangsauflösung gedroht. In einer außerordentlichen Generalversammlung stimmten nun am 23. Mai 44 Mitglieder für und 40 gegen den Verkauf. Für 150.000 RM wechselte das Eigentum am 11. Juni an die Stadt, die dem Verein für 2 Jahre die Benutzung des Gartenhauses gegen eine Jahresmiete von 240 RM erlaubte. Bald fehlte ein Teil des Weinvorrates, der offensichtlich gestohlen worden war. Nachdem der Gartensaal mit einem Kostenaufwand von 5.000 RM eingerichtet worden war, hatte der Verein nur noch wenig Freude an ihm, denn am 17. Januar 1945 wurde das Hauptgebäude durch Bombenangriff völlig zerstört, während der Gartensaal dem Angriff vom 27. März 1945 vollständig zum Opfer fiel.
4. Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg
Es dauerte fast 2 Jahre, bis sich das Vereinsleben wieder regte, denn die Unterlagen im Protokollbuch, das erst 1950 angelegt worden ist, blicken auf die Zeit zuvor summarisch zurück und setzen mit den Verhandlungen um die Rückgabe des 1943 unter massivem politischen Druck veräußerten Vereinsgrundstücks wieder ein. Diese Verhandlungen konnten 1950 abgeschlossen werden; Kaufmann Theo Brockmann hatte das Grundstück von der Stadt gepachtet, so daß nun ein „Rücktausch“ durchgeführt wurde; Brockmann erwarb das Grundstück Liboriberg 16, das dem Bildhauer Phillipp Reichmann gehört hatte, baute es aus und sollte es schlüsselfertig an den Bürgerverein abgeben. Dafür erhielt er das ehemalige Vereinsgrundstück an der Kasseler Straße; die Stadt verzichtete auf das Grundstück. Man schätzte die Baukosten auf DM 100.000,00, wozu noch einmal 30.000,00 DM für die Inneneinrichtung hinzukommen würden.
Auch die Mitgliederzahl stieg wieder an: Gab es 1949 182 Mitglieder, so gehörten dem Verein im folgenden Jahr bereits 218 Herren an, auch wenn man von der Höchstzahl von 492 Mitgliedern (1924) weit entfernt war. Dem Vorstand gehörten als Vorsitzender Rechtsanwalt Otto Wilmes, Bankdirektor Weyer, Lehrer Nübel und Steuerrevisor Niederwipper an; als Bausachverständiger wurde Architekt Robert Waltert hinzugezogen. Als das Haus im Oktober 1950 bezogen werden konnte, merkte das „Westfälische Volksblatt“ am 20. Oktober 1950 an: „Möge der Bürgerverein in seinem Heim viel Glück und frohe Stunden erleben, möge er, auf seinen alten Grundlagen der Vorväter aufbauend, seine Ideale verwirklichen... .“ Der Protokollant formulierte in diesem Zusammenhang erneut die Vereinsziele: Pflege bürgerlicher Geselligkeit, Förderung kultureller Bestrebungen auf überparteilicher und überkonfessioneller Grundlage und bewußte Förderung der Heimatpflege.
Vor allem aber der Wiederaufbau des Hauses (Ausbau des Lokals und Gestaltung der Gastronomie) sollte in der folgenden Zeit das Vereinsleben und besonders die Arbeit des Vorstandes bestimmen. Damit verbunden waren Steuerfragen, nicht zuletzt auch immer wieder Probleme der Finanzierung des Vereinslebens. Aber auch das „innere“ Vereinsleben blühte wieder auf: Erzbischof Lorenz Jaeger und Stadtdirektor Norbert Fischer waren 1951 die ersten Nachkriegsehrenmitglieder geworden, und die Mitgliederzahl stieg auf 262 Herren. Man sorgte sich weiter um eine einladende äußere Gestaltung des Hauses und brachte eine erste Lichtreklame am Haus an. Jedoch wurden 1952 offensichtlich Vorwürfe gegen den Vorstand erhoben, woraufhin Architekt Waltert seine Mitarbeit einstellte; neue Vorstandsmitglieder wurden Kaufmann Ferdinand Klingenthal und Dr. Anton Thienenkamp. Gründlich überlegt wurde die Anschaffung einer Kühlanlage. Erstmalig für 1953 findet man im Protokollbuch eine Anwesenheitsliste für die Generalversammlungen, aber thematisch gab es die gleichen Probleme zu behandeln: Die Gastronomie des Vereins warf immer wieder Sorgen auf. Hinzu kamen Fragen zur Innengestaltung des Hauses; so konnte 1955 ein Clubzimmer eingerichtet werden. Als neues Vorstandsmitglied für den ausgeschiedenen Kaufmann Klingenthal wurde Direktor Heinrich Wasserkordt gewählt, und erstmals ist wieder die Rede von einem Vereinsessen, dessen Speisefolge mitgeteilt wird: Als Hauptgang gab es Rehragout. Auch in den Folgejahren gab es noch mehrfach Streit mit den Pächtern, und der Vorstand mußte nach dem Tod von Revisor Clemens Niederwipper 1958 neu organisiert werden. Die eigentliche Geschäftsführung des Vereins lag jetzt in den Händen von Dr. Thienenkamp; auch erwog man, Lehrer Nübel wieder in die Vorstandsarbeit einzubeziehen. Neu in den Vorstand gewählt wurde Fabrikant Fritz Ostermann; erstmalig war die Einladung zur Generalversammlung gedruckt worden, und außerdem wird die Speisenfolge mitgeteilt, wobei auf die kostenlose Beköstigung ausdrücklich verwiesen wird. Auch in diesem Jahr bereitete das Haus hohe Unkosten, denn für 40.000,00 DM waren ein Anbau und die Renovierung der Toilettenanlage zu bezahlen. Das Jahr 1960 brachte einen Wechsel im Vorstand. Nach dem Tode von Rechtsanwalt Wilmes übernahm Dr. Thienenkamp den kommissarischen Vorsitz, und Staatsanwalt Ewald Meschede trat zusammen mit Zahnarzt Dr. Herzig in den Vorstand ein, womit die „Ära Meschede“ im Verein begann. Meschede regte an, bei allen künftigen Vereinsfesten das „Paderborn-Lied“ des Gründers Hüffer zu singen. Die nächste ordentliche Generalversammlung 1962 bestätigte die bisherigen Vorstandsmitglieder, wobei Dipl.-Ing. Hans Beverungen und Justizoberinspektor a. D. Karl Müller als Beisitzer in den Vorstand hinzugewählt wurden. Das Protokoll vermerkt auch diesmal „Probleme mit dem Pächter“, ohne diese näher darzulegen. Mit dem Beginn des Jahres 1963 begann die eigentliche „Ära Meschede“, denn nun sollte der Paderborner Staatsanwalt für 25 Jahre die Geschicke des Vereins leiten, nachem Dr. Thienenkamp auf eine Wiederwahl verzichtet hatte. Einen ersten Höhepunkt seiner Amtszeit markiert das hundertjährige Vereinsjubiläum, das am 21. November 1964 mit einer Festversammlung und einem Herrenessen im Vereinshaus begangen wurde.
Die vorhandenen Zeitungsberichte über das Fest sind weitgehend identisch, wobei nur das „Volksblatt“ davon abwich; hier hatte offensichtlich ein eigener Redakteur den Test verfaßt. Anschließend war eine innere Erneuerung des Hauses erforderlich; unter dem 27. Oktober 1965 vermerkt die „Freie Presse“ anerkennend: „Man erkennt ihn (gemeint 'Bürgerverein') nicht wieder.“ Auch die „Warte“ nahm das Jubiläum zum Anlaß, sich mit dem Verein zu beschäftigen, denn in dem Bericht über die Feier werden alle 128 Gründungsmitglieder namentlich genannt. Nach dem Ausscheiden von Dr. Herzig aus dem Vorstand trat an dessen Stelle 1965 Kaufmann Ludger Konersmann, der auch viele Jahre Vorstandsmitglied bleiben sollte. Wesentlich war in diesem Jahr auch die Umstellung der Heizung auf Öl; erwähnenswert scheint mir auch zu sein, daß es in diesem und vielen folgenden Jahren nach der Einladung immer das gleiche Essen bei der Generalversammlung gab. Offensichtlich bereitete dem Vorstand das Nachwuchsproblem große Sorgen, denn erstmalig wurden alle Mitglieder aufgefordert, sich intensiv um neue Mitglieder zu bemühen. Die Versammlung erreichte ein Telegramm der Deutschen Olympischen Gesellschaft aus Helgoland, in dem die Mitglieder des Vereins aufgefordert wurden, „in cumulo“ der DOG beizutreten. Über einen Erfolg dieser Werbung verraten die Unterlagen nichts. Aber auch das Geld wurde knapp, und so beantragte der Vorstand 1969 eine Beitragserhöhung von 20 auf 30 DM; man entschied sich für 25 DM ab dem 01.01.1971, zumal das Haus wieder viel Geld kostete.
1971 merkt das Protokoll wieder Klagen über den Pächter, der nicht den Anforderungen entspreche, an; man suchte nach einem neuen Pächter. Hinzu kamen weitere Probleme, so die Parkplatzsituation vor dem Haus und die Frage, welches Bier auszuschenken sei. Neu in den Vorstand gewählt wurde Sparkassendirektor Ewald Hoffmeister. Die Probleme mit dem Pächter lösten sich1972: Man fand in Frau Kader eine „Geschäftsführerin“ für die Gastronomie, die diese in eigener Regie betreiben wollte. Zunächst aber waren wieder Renovierungsarbeiten erforderlich; so installierte man eine vollautomatische Kegelbahn. Der renovierte „Bürgerverein“ öffnete am 15. Juli 1972 seine Pforten, und Frau Kader übernahm die Gastronomie zum 1. Januar 1973 für einen jährlichen Pachtzins von 1.000 DM, wozu noch monatlich 250 DM Pacht für die Kegelbahn hinzukamen.
Schon im Oktober 1973 erfuhr sie hohes Lob durch den Vorstand, was sich auch nach ihrer Heirat – jetzt Frau Gülle – mehrfach wiederholte. Eine neue Leuchtreklame, deren Kosten die Paderborner Brauerei trug, konnte noch 1975 installiert werden. Dennoch gab es Schwierigkeiten mit der Faßbierlieferung, aber das Protokoll vermerkt dazu: „Die Vertreter der Brauerei waren einsichtig“, was auf eine Lösung schließen läßt. Um das Jahr 1976 muß es im Verein zu einer Krise gekommen sein, denn das Protokoll vermerkt: „... bei einer etwaigen Auflösung des Vereins soll das Vermögen wohltätigen Zwecken zukommen... Man sah der Zukunft nicht rosig entgegen.“ Außerdem bat der Vorsitzende Ewald Meschede, man möge sich nach einem geeigneten Nachfolger umsehen, denn er habe inzwischen 15 Jahre Vorstandsarbeit geleistet. Außerdem versuchte man, im Einvernehmen mit der Pächterin die Pacht zu erhöhen, wollte die Mitgliederwerbung intensivieren und wählte Tischlermeister Karl Werner in den Vorstand. Dieser stiftete dem Verein sofort eine Schrankwand. Hinsichtlich der Pächterfrage gab es im November 1978 wieder Sorgen, denn die bewährte Pächterin, Frau Gülle, hatte den Vertrag zum 30. Juni 1979 gekündigt. Sofort suchte der Verein einen Nachfolger, ohne geeignete Kandidaten zu finden. Nachdem man an ein Berliner Ehepaar gedacht hatte, merke das Protokoll an: „Alle Verhandlungen zerschlugen sich.“ Auch die Teilnahme an den Generalversammlungen ging deutlich zurück, denn statt bisher durchschnittlich 50 Teilnehmern kam nur noch die Hälfte. Im August 1979 klärte sich auch die Bierlieferungsfrage, denn statt von der Paderborner Brauerei bezog man jetzt Herforder Bier; Architekt Waltert lieferte Pläne für erneute Umbaumaßnahmen, wobei ein Kostenvolumen von 250.000 DM abgesteckt wurde, was eine außerordentliche Generalversammlung vom 21. Juni 1979 befürwortete, jedoch war der Vereinsvorsitzende gegen diese Maßnahmen. In dem Ehepaar Zwar hatte man schließlich auch einen neuen Pächter gefunden, der sich aber als inkompetent erwies, denn schon zu Weihnachten 1979 „... verließen die Eheleute Zwar das Haus, wobei sie alles liegen und stehen ließen, wie es war“, merkt das Protokollbuch an. Aber auch der Nachfolger war kein Glücksfall, denn nachdem die Gastronomie am 1. Februar 1980 wiedereröffnet war, stellte „... sich der Pächter als faul heraus“. Zusätzlich blieb der Pächter monatelang die Pacht schuldig, so daß er im Juni 1980 endgültig den „Bürgerverein“ verließ.
Anfang 1981 versuchte man es mit einem weiteren Pächter, dem Ehepaar Gönne aus dem „Haus Erika“ in Bad Lippspringe, mit dem man einen Vertrag über 10 Jahre schloß. Aber auch das war kein Glücksgriff, denn nach dem Protokollbuch „... läßt der Wirt in vielen Dingen zu wünschen übrig, vor allem ist er zu unfreundlich und grob“. Immer wieder fanden Vorstandssitzungen zu dieser Problematik statt, ohne sie lösen zu können. Hinzu kamen Schwierigkeiten mit der Herforder Brauerei, „... die aus dem Vertrag heraus möchte“. Der Vorstand verhandelte nun wieder mit der Paderborner Brauerei, „... die sich sehr interessiert zeigte“. Schließlich war die Kassenlage angespannt, denn statt des opulenten Mahls bei der Generalversammlung gab es nur Grünkohl mit Wurst, was mit allgemeinen Spartendenzen und der „nicht sonderlich guten Finanzlage des Vereins“ begründet wurde. Die Probleme mit den Pächtern blieben. Das Protokollbuch vermerkt: „Am 31. Oktober 1982 scheidet Herr Gönne als Pächter aus. Er hatte denkbar schlecht gewirtschaftet und die Gäste vergrault.“ Nun präsentierte die Herforder Brauerei – diese lieferte immer noch das Bier – als neue Pächter zwei Italiener; „das konnte nicht gut gehen“, vermerkte der Protokollant, denn der eine sprach kein Deutsch, der andere war Automechaniker. Daher resümierte der Protokollant: „Das Jahr 1983 hat für den BV schlecht begonnen... Es hatte den Anschein, daß die Brauerei es darauf anlegte, aus dem Vertrag herauszukommen.“ Zusätzlich erhoben die Pächter Forderungen, die jedoch abgelehnt wurden. Bald wurden diese dann entlassen, ohne daß die Herforder Brauerei neue Pächter bestellte. Jetzt stellte der Protokollant fest: „Der Vorstand war schon seit längerer Zeit der Auffassung, das Vereinshaus sei auf die Dauer eine unerträgliche Belastung für den Verein.“
Um die Probleme endgültig zu lösen, schloß der Vorstand am 11. November 1983 vor dem Notar Plückebaum einen Kaufvertrag mit dem Gastwirt W. Kaup, wobei ein Kaufpreis von 510.000 DM vereinbart wurde; man wollte offenbar den „Klotz am Bein des Vereins“ loswerden. Der Vertrag sollte aber nur „vorbehaltlich der Genehmigung durch die Generalversammlung“ gelten. Auf der für den 3. Dezember 1983 einberufenen Generalversammlung, bei der 45 Mitglieder anwesend waren, wurde die Genehmigung erteilt; wenn der Protokollant anmerkt: „Die Mitgliedsbeiträge sollten weitergezahlt werden“, so scheinen auch jetzt wieder Forderungen nach einer Vereinsauflösung erhoben worden zu sein. Ein wenig neidvoll merkt der Protokollant Anfang 1984 an: „Herr Kaup hat Grundstück und Haus zum 1. Januar 1984 übernommen. Er hat den Gastraum völlig umgestaltet. Die Gäste aus dem „Südwall“ sind ihm gefolgt. Der Laden floriert. Solch ein Pächter hatte uns gefehlt“. Nun konnte sich der Verein auch wieder opulentere Mahlzeiten zu den Generalversammlungen leisten; gegen Forderungen, den Verein aufzulösen, beschloß die „überwältigende Mehrheit“ der 53 Teilnehmer der Generalversammlung von 1985, „... den Verein mit Leben zu erfüllen.“ Allerdings wird kritisch angemerkt: „Wege dahin wurden nicht aufgezeigt.“ Man beschloß aber eine Neufassung der Satzung und die weitere Erhebung der Vereinsbeiträge. Außerdem wurden die Bilder aus dem Haus „... dem Adam- und Eva-Haus als Leihgabe überlassen“. Daß es zu dem o. g. „neuen Leben“ kam, zeigt die Generalversammlung von 1986, denn sie bedeutete in verschiedener Hinsicht einen markanten Einschnitt. Erstmalig sprach mit Professor Dr. Friedrich Kienecker ein Gastredner zum Thema „Das Gespräch und die Möglichkeit des Friedens“.
Die Teilnehmer konnten frei wählen, was sie zu essen gedachten. Vor allem aber gab es einen Wechsel in der Vereinsleitung, denn Staatsanwalt Ewald Meschede legte nach 23 Jahren Vorsitz das Amt nieder. Sein Abschlußbericht bestand offensichtlich nur aus einem Satz „... es gibt nichts zu berichten. Der Verein hat vor sich hingelebt.“ Die Neuwahl des Vorstandes brachte einen großen Wechsel, denn neuer Vorsitzender wurde Rechtsanwalt und Notar Dr. Wilhelm Uhle, dem als weitere Vorstandsmitglieder Karl Werner, Dr. Walter Asshauer, Bernhard Sander und Karl Bernemann assistierten. Der neue Vorsitzende ernannten Ewald Meschede zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit. Dr. Uhle bat die Mitglieder um Nachzahlung der Beiträge für 1985, die Zahlung der Beiträge für 1986 sei „Ehrensache“. Die Reihe der Vorträge bei der Generalversammlung setzte 1987 Dipl.-Ing. Schurig mit dem Thema „IC-Anschluß Paderborn“ fort, und der neue Vorstand, der von einem „schwierigen Neuanfang“ sprach, nachdem der alte die Auflösung des Vereins erwogen hatte, erhielt mehrere Angebote zu weiteren Vorträgen (Prof. Dr. Kürpick, Dipl.- Ing. Leniger, Stadtdirektor Ferlings). Auch personell war man mit 150 Mitgliedern knapp besetzt. Neue Initiativen wurden entwickelt; so beschloß man eine Zusammenarbeit mit der Universität Gesamthochschule Paderborn, und auch zum Handwerk sollten neue Bande geknüpft werden. Vor allem aber wollte man der Veralterung im Verein entgegenwirken, um eine deutliche Verjüngung in der Mitgliedschaft zu erreichen. In diesem Zusammenhang gehört auch eine Satzungsüberarbeitung durch das Vorstandsmitglied Karl Bernemann; diese Satzung nahm die Generalversammlung am 26. Februar 1988 an, und zugleich sollte die Mitgliederliste überarbeitet werden. Schließlich sollte die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins intensiviert werden, und so fand am 24. Februar ein Gesprächsabend in der „Spardose“ statt, bei dem Interessenten die Arbeit des Vereins kennenlernen konnten. Schon zum Jahresende 1988 stimmte der Vorsitzende Dr. Uhle die Mitglieder auf das bevorstehende 125-jährige Vereinsjubiläum ein. Überhaupt brachte das Jubiläumsjahr einen gravierenden Einschnitt in die Vereinsentwicklung, denn die Neufassung der Satzung erlaubte nun auch die Mitgliedschaft von Frauen im Verein.
So konnte der Vorstand Anfang 1989 unter den 17 Neuaufnahmen auch drei Damen als Vereinsmitglieder begrüßen. Erstmalig war jedoch schon 1877 von Damen die Rede, als das Protokoll anmerkte: „Wittwen und alleinstehende Damen sind als Kartenmitglieder aufzunehmen“. Dabei ist mir nicht ganz klar, was der Begriff „Kartenmitglieder“ meint, jedoch war das keine vollwertige Mitgliedschaft. Im Vorsitz gab es einen Ämtertausch, denn der 2. Vorsitzende Karl Bernemann wurde jetzt Vorsitzender und Dr. Uhle dessen Stellvertreter. Vorstandsmitglieder blieben Herr Werner, Dr. Asshauer, Herr Sander und Herr Hoffmeister. Der Vorstand erörterte immer wieder die Frage der Mitgliederwerbung und die weitere Mitgliedschaft von Damen. Das Mitglied Franz von Cislik regte sogar an, der Verein solle zum Liborizug einen eigenen Wagen stellen; vor allem aber die Verbreitung des Jubiläums nahm viel Zeit und Arbeit in Anspruch. Der Vorstand entwickelte darüber hinaus weitere Aktivitäten, um dem Geist der neuen Satzung im Sinne der ursprünglichen Ziele des Vereins gerecht zu werden; so gründete er einen „Arbeitskreis junger Bürger im Bürgerverein“, förderte den künstlerischen Nachwuchs in Paderborn, vor allem durch die Veranstaltung von Förderkonzerten, um jungen Musikern erste Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen, veranstaltete Podiumsdiskussionen und lud zu Vorträgen ein.
Glanzvoll feierte man am 21. Oktober 1989 das 125-jährige Bestehen des Vereins mit einem Festakte im Großen Rathaussaal, wobei Dr. Friedrich Gerhard Hohmann eine Festansprache zur Gründungsphase und den ersten Jahren des Vereins hielt, an den sich dann ein Festessen im Lokal „Fischteiche“ anschloß. Die Festveranstaltungen kosteten den Verein genau 12.908,00 DM; zugleich konnte man in diesem Jahr die Gemeinnützigkeit erreichen.
Der Verein erstellte 1991 ein neues Mitgliederverzeichnis und gewann nach dem Tode des langjährigen Kassierers Ewald Hoffmeister in dessen Nachfolger (als Vorstandsvorsitzender der Sparkasse) Reinhard Abels einen neuen Kassierer; er wurde jedoch schon ein Jahr später bei der Vorstandswahl auf eigenen Wunsch durch den Leiter der Marketingabteilung der Sparkasse Hermann-Josef Schütte abgelöst. Überhaupt brachte die Wahl von 1992 einige Veränderungen im Vorstand: Zwar blieb Karl Bernemann Vorsitzender, dessen Stellvertreter jetzt aber Rechtsanwalt und Notar Franz Zacharias wurde, und Schriftführer wurde Thomas Lange.
Den Vortrag des Abends hielt der Vorstandsvorsitzende der Stadtwerke Hans Behringer über die Paderborner Kommunalbetriebe. Im Folgejahr sprach Stadtdirektor a.D. Wilhelm Ferlings zum Thema „Rückblick eines Stadtdirektors“, und erstmalig organisierte der Vorstand eine Fahrt, die in den fränkischen Raum, vor allem aber nach Würzburg, führte. Das Jahr 1994 war geprägt von einer Studienfahrt nach Bamberg und einem Festkonzert zum Abschluß der Landesgartenschau in Schloß Neuhaus. Bei der Generalversammlung sprach Ehrenlandrat Joseph Köhler zum Thema: „Erinnerungen eines Menschen, der politisch tätig war und ist“. Ähnliche Aktivitäten entwickelte der Verein 1995: Eine Studienfahrt führte an den Mittelrhein; man besichtigte die neue „Liborigalerie“ und bat Oberstudiendirektor a.D. Franz Josef Weber um den Festvortrag bei der Generalversammlung, wobei als Thema „Geschichte des Theodorianums“ vorgesehen war.
Weber sprach nach dem Protokoll aber tatsächlich über den Förderverein und die Finanzierung der Rekonstruktion des Barockaltars in der Jesuitenkirche. Die Vorstandswahlen brachten erneut einige Änderungen, denn die Vorstandsmitglieder Franz Zacharias und Thomas Lange tauschten die Ämter, und das stellvertretende Vorstandsmitglied der Sparkasse Paderborn, Hubert Böddeker, übernahm das Amt des Kassierers (Hermann Josef Schütte war gestorben). Das Protokoll erwähnt ausdrücklich das „Ewald-Meschede-Gedächtnis-Süppchen“ als Bestandteil des Essens. Zum 31. Dezember 1994 hatte der Verein nach dem Protokoll 171 Mitglieder. Dieses Jahr 1994 markierte insofern einen weiteren Einschnitt, denn Anfang 1994 wurde das seit einigen Jahren dem Gastwirt Kaup gehörende ehemalige Haus des Bürgervereins, jetzt „Kaup’s Bierhaus“, abgerissen, um in den Neubau der „Liborigalerie“ einbezogen zu werden. Heute befindet sich an dieser Stelle die Einfahrt in das Parkhaus der Galerie. Mit diesen Feststellungen enden die Eintragungen im Protokollbuch des Vereins; ob und inwieweit weitere Unterlagen existieren, ist dem Verfasser dieser Zeilen derzeitig nicht bekannt.
Jetziger Vorsitzender des Vereins ist seit 1999 Rechtsanwalt und Notar Josef Sprute, der das Amt von Karl Bernemann übernommen hat. Der neue Vorsitzende ist bemüht, den Verein im Geiste seiner Gründer und Amtsvorgänger zu führen, mit der Zeit zu gehen und gemäß der Satzung neue Schwerpunkte zu setzen: Der Verein soll sich um das Image der Stadt und dessen Verbesserung bemühen, politische Diskussionen zur Kommunalpolitik führen, um auch hier Innovationen zu erreichen, weitere Studienfahrten durchzuführen und zum „Tag der Einheit“ Informationsveranstaltungen zu organisieren; so gelang es dem Verein, Dr. Otto von Habsburg im Jahre 1999 als Referenten zu gewinnen.
Wenn der Verein hier weitere Schwerpunkte setzen kann, dürfte er eine wichtige Zukunftsaufgabe im Leben der Stadt Paderborn erfüllen, ohne daß Existenzkrisen auftreten.